Planung
Die Planung meines Auslandssemesters habe ich im Februar und damit relativ spät begonnen. Da ich im Ausland englische Vorlesungen hören wollte und Anmeldefristen für Auslandsaufenthalte in den englischsprachigen Ländern oft länger als sechs Monate sind, fiel mein Auge bald auf die skandinavischen Länder. Norwegen schien mir das attraktivste dieser Länder zu sein und so untersuchte ich die Homepages der verschiedenen norwegischen Hochschulen – viele hat das kleine Norwegen ja nicht zu bieten. Die NTNU war aufgrund ihrer Ausrichtung als technische Hochschule mit einer sehr starken Mathe-matik und einer renommierten Algebra-Arbeitsgruppe schnell als mein Wunschziel identifiziert. Der Betreuer meiner Bachelor-Arbeit bekräftigte diese Entscheidung, weil er gute Erfahrungen mit Kollegen aus der NTNU gesammelt hatte. Da meine Fakultät kein Austauschprogramm mit der NTNU unterhält, habe ich mich unabhängig davon in Trondheim beworben. Aufgrund der sehr einladenden Haltung gegenüber ausländischen Studierenden wurde der Antrag auch bald bewilligt und ich konnte meine Reise nach Norwegen planen. Schnell habe ich die ersten positiven Erfahrungen in Bezug auf das internationale Büro in Trondheim gesammelt, da mir eine große Menge Infomaterial zur Verfügung gestellt wurde mit allen nötigen Informationen zu Dingen, die vor der Reise und kurz nach der Ankunft zu erledigen wären.
Die ersten Tage in Trondheim
Eine Woche vor Vorlesungsbeginn wurde eine Reihe von Veranstaltungen für die fast eintausend neuen Austauschstudenten organisiert. Neben den obligatorischen Informationsveranstaltungen wurden in der Zeit vor allem viele Veranstaltungen angeboten, um sich gegenseitig kennenzulernen und neue Freunde zu finden: Von gemeinsamen Wanderungen in der wunderschönen norwegischen Landschaft über ein Barbecue bis hin zu einer riesigen Stadtrallye in der Trondheimer Innenstadt war alles dabei. Highlight der Woche war wohl die Veranstaltung „63° Degrees North“, bei der wir uns bei lustigen bis albernen Spielen besser kennenlernen und in Gruppen um den Sieg kämpfen konnten. Durch das reichhaltige und gut durchdachte Programm habe ich mich in Trondheim sofort willkommen und gut aufgehoben gefühlt. Beim Informationsprogramm wurde uns der Semesterablauf erklärt und auf die kulturellen Eigenheiten der Norweger hingewiesen. So wurde uns erzählt, die Skandinavier seien sehr höflich, aber doch zurückhaltend und würden sich mit Small Talk zurückhalten aus Sorge, dass sich ihr Gegenüber belästigt fühlt. Während meines Aufenthalts habe ich diese große Höflichkeit und Hilfsbereitschaft zu schätzen gelernt und auch festgestellt, dass vor allem die jungen Norweger und die Mitarbeiter an der Universität doch sehr offen und umgänglich sind.
Studienalltag
Die größte Umstellung beim Studium in Norwegen war für mich die andere Einstellung zu Lehrbüchern. Während es in Jena üblich ist, mehrere Bücher als mögliches Zusatzmaterial zum Kurs anzugeben, welches beim Nacharbeiten der Vorlesung hilft, aber nicht notwendig ist, gibt es in Trondheim die strikte Politik, dass ein Lehrbuch zum Kurs gegeben ist und der Lehrplan ausschließlich diesem einen Buch entnommen wird. Dabei kommt es auch vor, dass Inhalte nicht in der Vorlesung besprochen werden und diese dann dennoch prüfungsrelevant sein können, wenn sie im Buch nachgelesen werden können. Einige Dozenten folgen auch dem Lehrbuch sehr genau von vorn bis hinten ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was didaktisch sinnvoller wäre. Das bringt sicherlich eine gewisse Konstanz in die Vorlesungen, auch wenn sie von verschiedenen Dozenten gelesen werden – dennoch bevorzuge ich das mir bekannte System, bei dem man in der Vorlesung die Handschrift des Dozenten erkennt.
Ich habe in Trondheim vier Vorlesungen gehört, von denen die meisten etwas leichter schienen, als ich das in Jena kenne. Insbesondere die Bewertung bei den Prüfungen war sehr studentenfreundlich. Hervorheben möchte ich zwei Dinge:
- Die Vorlesung Cryptography wird in Trondheim von Mathematikern angeboten und ist daher viel theoretischer und mathematisch exakter, als das in Jena der Fall ist. Mir hat das sehr gut gefallen.
- In Trondheim gibt es spezielle PhD-Kurse, die eigentlich nicht für normale Studenten gedacht sind. Man kann sie aber trotzdem hören und sich prüfen lassen. In der Vorlesung Operator Algebras saßen zum Beispiel neben mir zwei weitere Master-Studenten und keine anderen PhD-Studenten. Es gibt dann keine Noten, sondern nur „Bestanden“/“Nicht Bestanden“.
Eine Vorlesung (Calculus 4K) wollte ich zunächst belegen, habe dann aber davon abgesehen, weil sie nicht für Master-Studenten gedacht war und daher nur in norwegischer Sprache gelesen wurde. Trotz meiner Vorkenntnisse in Norwegisch, die ich mir in einem Sprachkurs in Jena zugelegt hatte, hatte ich große Schwierigkeiten, dieser Vorlesung zu folgen.
Da an der NTNU scheinbar jede Veranstaltung unabhängig vom Aufwand mit 7,5 ECTS bedacht ist, entspricht mein Pensum genau den typischen 30 ECTS. Der Aufwand während des Semesters war im Vergleich dazu geringer als ich es aus Jena gewöhnt bin. Dafür war ich aber sehr dankbar, da ich so genügend Zeit hatte, Land und Leute kennenzulernen.
Außeruniversitäre Aktivitäten
Im Vergleich zu Deutschland engagieren sich Studenten in Norwegen wesentlich häufiger in einem Ehrenamt. Das Spektrum reicht hier vom Engagement in Fachschaftsräten bis hin zur Organisation von großen Festivals, die regelmäßig mit etablierten norwegischen und internationalen Künstlern aufwarten können. Dieses riesige Angebot fand ich wunderbar, allerdings habe ich keine Möglichkeit gefunden, solche Aktivitäten in meinen viermonatigen Aufenthalt einzubauen. Jedem, der einen einjährigen Aufenthalt plant, würde ich aber definitiv empfehlen, Zeit für ein Ehrenamt einzuplanen, da dies sicher der beste Weg ist, schnell gute Beziehungen zu Norwegern aufzubauen.
Für Austautschstudenten bietet ESN (Erasmus Student Network) eine Reihe von verschiedenen interessanten Veranstaltungen, von regelmäßigen Partys bis zu Reisen zu besonders schönen Gegenden in Norwegen, etwa jedes Semester zu den Lofoten. Mein persönliches Highlight waren aber die an der NTNU sehr beliebten Waldhütten-Wanderungen: Für kleines Geld kann man sich eine von vielen verschiedenen Hütten in der näheren Umgebung von Trondheim mieten und nach einer schönen Wanderung dorthin in kompletter Abgeschiedenheit zur Zivilisation ein oder zwei Nächte verbringen. Ich selbst habe mit Freunden mehrere solcher Wanderungen unternommen und kann das vor allem im Sommer und zu Herbstbeginn nur jedem empfehlen.
Fazit
Bei meinem Aufenthalt in Trondheim wurde mir ein Einblick in die norwegische Kultur gewährt, den ein Tourist niemals bekommen würde. Die norwegischen Studenten in den kleineren Vorlesungen waren stets sehr aufgeschlossen und offen für gemeinsame Akti-vitäten. Darüber hinaus konnte ich an der NTNU viele Studenten aus allen Ländern der Welt kennenlernen, wobei zugegebenermaßen der größte Teil an internationalen Studenten von Deutschen und Franzosen gestellt wird. Man sollte sich die Mühe machen, sich nicht nur mit Deutschen zu umgeben – die Chance, so viele internationale Menschen zu treffen, bekommt man so schnell nicht wieder.
Der fachliche Gewinn meines Auslandsaufenthalts ist leider nicht so hoch wie vorher geplant. Einige Vorlesungen, die üblicherweise im Herbstsemester angeboten werden sollten (etwa Homological Algebra) wurden in diesem Semester nicht angeboten und das angebotene Modul Commutative Algebra erschien lange Zeit nicht im Online-Modulkatalog, sodass ich von dessen Existenz bis Mitte des Semesters nichts wusste. Der Anspruch der Module und Prüfungen an der NTNU scheint im Allgemeinen etwas geringer zu sein, als ich es aus Jena gewöhnt bin. Allerdings bin ich sehr froh über den Kryptographie-Kurs, da er in Trondheim im Gegensatz zu meiner Heimuniversität von den Mathematikern angeboten wird und daher viele Dinge exakter sind, als ich es in einer Vorlesung für Informatiker erwarten würde. Als Gegenstück zur Codierungstheorie, die ich schon in Jena gehört habe, liefert mir das einen interessanten Einblick in die Anwendungen der Algebra in der Informatik, was mir sehr gelegen kommt, da die Algebra im Gegensatz zu anderen Teilgebieten der Mathematik eher fernab praktischer Anwendungen liegt.
Insgesamt blicke ich gern zurück auf mein Semester im wunderschönen Norwegen. Aufgrund des herzlichen Empfangs haben wir Austauschstudenten uns schnell in Trondheim wohlgefühlt. Ich kann nur jedem, der einen Auslandsaufenthalt plant, ein Semester oder gar ein Jahr an der NTNU empfehlen.