Auslandsbericht Pisa

Mein Erasmus-Aufenthalt in Pisa war ein unglaublich schönes Jahr. Pisa ist eine kleine Stadt in Küstennähe in der Toskana, und dennoch weltweit berühmt (wenn auch nur wegen des Schiefen Turms).  Pisa hat etwa 100.000 Einwohner, also in etwa wie Jena, und einen noch höheren Studentenanteil, es sollen bis zu 50.000 Studenten sein. Dementsprechend ist die Stadt jung und lebendig, vor allem am Abend. Auch eine mathematische Vergangenheit hat Pisa zu bieten: Der berühmteste Sohn der Stadt ist sicher Galileo Galilei, sein Geburtshaus ist heute durch ein Schild ausgezeichnet, und der Legende nach machte er seine Experimente zur Untersuchung der Erdanziehungskraft im Schiefen Turm. Aber auch Enrico Fermi, Ulisse Dini, Enrico Betti und Leonardo Fibonacci sind Pisaner. Noch heute besitzt Pisa einen guten Ruf für mathematische Forschung – das liegt vermutlich an der neben der staatlichen Universität existierenden „Scuola Superiore Normale“ – eine von Napoleon gegründete Elite-Uni, deren Lehre sich aber zum Teil mit der der staatlichen Universität Pisa vermischt.

Was man erleben kann

Natürlich stand für mich nicht das Besuchen von Vorlesungen im Vordergrund, viel wichtiger war für mich die Erfahrung, ein Jahr in einem fremden Land auf mich allein gestellt zu sein, das Kennenlernen der italienischen Kultur und das Verbessern meiner Kenntnisse der italienischen Sprache.
Dafür eignet sich Pisa ganz wunderbar, ist es doch weder im Süden noch im Norden gelegen, die sich kulturell sehr unterscheiden, und damit das perfekte Sprungbrett zu Ausflügen in alle größeren Städte in Italien – wenn man früh bucht findet man bspw. Bahntickets für 10€ nach Rom oder Mailand. Aber vor allem die nähere Umgebung hat viel zu bieten, nicht umsonst ist die Toskana ein beliebtes Reisegebiet der Deutschen.
In  Pisa kann man natürlich den Piazza dei Miracoli mit dem Schiefen Turm, der Taufkirche und dem Dom bestaunen, wobei man sich den Anblick rund ums Jahr mit Horden von Touristen teilen muss, nur spät abends kann man den schönen Blick bei einem Bier vielleicht in Ruhe genießen. Der Piazza liegt glücklicherweise etwas außerhalb, so dass nur wenige Touristen den Weg in die hübsche Altstadt von Pisa finden. Die ist nämlich zum verlieben: fast komplett frei von Autoverkehr und besteht aus vielen kleinen verwinkelten Gassen, zwischen die sich immer wieder traumhaft schöne italienische Piazzas schieben, auf denen man wunderbar ein Eis oder einen Cafe genießen kann.
Von Pisa aus kommt man in einer halben Stunde mit dem Bus ans Meer, mit einigen hübschen und kostenlosen Stränden, an denen ich so manchen Sommertag verbracht habe. Am Meer liegt auch Livorno, eine etwas größere Stadt, die sich zum Shoppen eignen soll, von der ich aber nur das Fussball-Stadion gesehen habe.
Mehr zu bieten hat das etwa eine Stunde Zugfahrt entfernte Florenz – oft bezeichnet als Wiege der Renaissance und damit unserer modernen Gesellschaft. Es gibt dort eine Unzahl an Dingen zu besichtigen, die Fülle an Kulturangeboten erschlägt einen. Besonders erwähnen möchte ich nur den Fußballverein, der seines attraktiven Fußballs wegen auf jeden Fall einen Besuch wert ist, außerdem den Ausblick vom Piazza Michelangelo über die Stadt, sowie die „Notte Bianca“, eine jährliche stattfindende Nacht, in der viele Museen geöffnet und einige Plätze zu Outdoor-Tanzflächen verwandelt sind.
Weitere Ausflugziele sind die traumhaften „Cinque Terre“, das ruhige Städchten Lucca, die Mittelalterstadt Siena sowie der Chianti, eine landschaftlich wunderschöne Gegend, aus der der weltberühmte Wein kommt (den man natürlich auch kosten muss!).
 
Pisa selber bietet neben gutem Essen vor allem ein gutes Nachtleben. Man kann zum Abendessen in eine Bar zu einem Aperitivo gehen. D.h., man bestellt ein Getränk und darf sich dann an einem mehr oder weniger vielfältigen Buffet bedienen, wie man will – eine bei den Italienern sehr beliebte Art des Abendessens. Die Mensa der Uni hat mittags und abends auf, ist aber für Erasmus-Studenten zumindest nicht billig. Für 5€ bekommt man ein Menü mit kleinem Salat, erstem und zweiten Gang, Nachtisch und Getränken, so viel man will. Die Qualität ist ganz gut, aber nicht außergewöhnlich.
Nach dem Abendessen, so gegen 10 Uhr, erwachen die Piazze so richtig zu leben: An jedem Wochentag sind die Plätze gefüllt von Menschen, die ein bisschen die milden Abende genießen wollen, ein Bier oder einen guten Wein trinken und dabei über Gott und die Welt reden. Auf dem Piazza dei Cavallieri sind sogar meistens einige Musikstudenten mit ihren Instrumenten, was dem Platz eine besonders schöne Atmosphäre verschafft.
 
Es gibt zwei besondere Tage im Jahr, die man sich nicht entgehen lassen darf: Das Capodanno Pisano und die Luminara. Das Capodanno Pisano ist das Pisanische Neujahrsfest. Die Pisaner sind ein etwas eigenwilliges Volk und grenzen sich gerne von den andern Toskanern ab, auch, weil historisch viele Städtefeindschaften bestanden. So haben die Pisaner einen eigenen Kalender, und in diesem Kalender liegt Neujahr eben im März. An besagtem Tag beginnt das neue Jahr, sobald mittags ein Lichtstrahl wie durch ein Wunder eine Wand im Dom beleuchtet. Ich war zur Feier dieses Lichtstrahls im Dom, konnte ihn aber leider nicht erkennen, was die Feier aber nicht gestört hat. Es ist ein großes Ereignis, mit vielen Veranstaltungen in der Stadt und vielen Touristen, die extra Anreisen.
Das zweite, noch schönere Ereignis ist die Luminara di San Ranieri, das Fest des Stadtheiligens. Dabei wird der Fluss der Stadt mit zehntausenden von kleinen Lichtern beleuchtet und mit einem Feuerwerk der Stadtheilige zelebriert. Beide Veranstaltungen sind eindrücklicher, als man es mit Worten beschreiben kann. Und sie haben noch einen Vorteil: an beiden Tagen fällt die Uni aus!

Zur Universität

Das wichtigste zuerst: die Vorlesungen der Mathematik sind ausnahmslos auf Italienisch, d.h. Vorkenntnisse schaden definitiv nicht, auch wenn die Professoren sehr hilfsbereit sind und die Prüfungen auch auf Englisch abgelegt werden können. Ich konnte bereits ein wenig Italienisch als ich in Pisa ankam, hatte aber im ersten Semester noch sehr große Probleme, manchen Vorlesungen zu folgen – da manche Professoren sehr wenig angeschrieben haben. Allgemein ist der Unterrichtsstil etwas anders als in Jena – Professoren schreiben kein vollständiges Skript an, sondern nur einige Rechnungen und Beispiele und reden sehr viel.
 
Übungsserien hatte ich in keinem Fach, allerdings wurden pro Semester zwei Compitini (kleine Tests) geschrieben, die bei gutem bestehen die schriftliche Prüfung am Ende des Semesters ersetzen können. Denn leider musste ich in jedem Fach erst eine schriftliche Prüfung ablegen, um dann zur mündlichen zugelassen zu werden – also leider etwas mehr Stress in der Klausurenphase. Dafür bietet das italienische System einen Vorteil: Man kann eine Prüfung so oft wiederholen, wie man möchte, also auch, wenn man mit seiner Note nicht zufrieden ist, kann man diese noch verbessern. Dazu gibt es auch mehr Möglichkeiten, pro Semester gibt es bis zu 6 verschiedene Prüfungstermine, bei denen allen man theoretisch antreten kann.
 
Die Universität ist über die ganze Stadt verteilt, die Mathematik-Fakultät befindet sich in einer ehemaligen Textil-Fabrik etwa 5 Minuten vom Zentrum. Das Gebäude mit den Büros der Professoren ist sehr schön, dafür sind die Vorlesungssäle nicht besonders schön und werden bei italienischen Temperaturen auch manchmal ganz schön warm – aber man kann nicht alles haben, dafür gibt’s Cafe vom Automaten für 30 Cent.
Die Fakultät besitzt einen kleinen Park mit Palmen und zwei Häuser weiter gibt es ein Studentenhaus, in dem viele Italiener lernen und das einen noch schöneren Park mit Bänken und noch mehr Palmen hat. Pisa wird durch einen Fluss, den Arno, der übrigens auch durch Florenz fließt, in zwei Teile geteilt. Er gibt der Stadt ihre besondere Atmosphäre und es ist ein Traum tagsüber ein Eis an seinem Ufer zu genießen oder abends an selber Stelle ein Bier zu trinken. Für meinen Weg zur Uni (etwa 5 Minuten mit dem Fahrrad), musste ich auf die andere Flussseite. So durfte ich (fast) jeden Morgen das wunderbare Panorama des „Lungarno“ genießen.
 
Ich habe in Pisa Prüfungen im Wert von 30 ECTS bestanden. Die Anerkennung lief ganz problemlos über das Prüfungsamt nach meiner Rückkehr, ich habe alle 30 Punkte angerechnet gekriegt, in Form von Modulen, die denen in Pisa einigermaßen entsprechen.

Was man sonst noch wissen sollte

Die Wohnungssuche in Pisa war ein wenig anstrengend, da ich zu Beginn des Jahres nur vor hatte, ein halbes Jahr zu bleiben – Vermieter wollten allerdings immer nur Jahresverträge machen. Auch die vielen Studenten sorgen dafür, dass es eine große Nachfrage an Wohnraum gibt. Für die Italiener mit Borsa (etwa so wie Bafög) gibt es aber immerhin Wohnheime. Ich habe nach etwa einer Woche Suche ein schönes Zimmer mitten im Zentrum gefunden und weil mir Pisa so gut gefallen hat dann meinen Aufenthalt auf ein Jahr verlängert. Das Preisniveau ist in etwa wie in Jena, im Zentrum habe ich 330€ für ein Zimmer gezahlt, 20 Fußminuten außerhalb findet man auch Zimmer für 200€.
 
Ich habe ein Stück meines Herzens in Pisa gelassen, weil das Lebensgefühl in dieser Zeit einfach wunderbar war. Die Kombination der Pisanischen Atmosphäre mit dem Freiheitsgefühl des Erasmus-Jahres hat das Jahr in einen Traum verwandelt und ich vermisse die Stadt und die vielen Leute aus der ganzen Welt, die ich dort getroffen habe! In diesem Sinne kann ich Pisa für einen Erasmus-Aufenthalt nur empfehlen!